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Obere Kapselrekonstruktion des Schultergelenks – wirksame Operation bei Schulterschmerzen

Inhaltsverzeichnis
Frau leidet an Schulterschmerzen

Einleitung

Das Schultergelenk ist von Sehnen umgeben, die zusammen eine manschettenartige Struktur bilden. Diese Sehnen rotieren mit der Schulter. Nicht rekonstruierbare Defekte der Rotatorenmanschette begegnen uns in den letzten Jahren immer häufiger. Es ist davon auszugehen, dass dies auf der heute aktivere ältere Bevölkerung zurückzuführen ist. Defekte der  Sehnen der Rotatorenmanschette verursachen den Patienten häufig grosse Schmerzen. Von einem nicht rekonstruierbaren Riss einer Sehne der Rotatorenmanschette sprechen wir, wenn die Qualität der Sehne so schlecht ist, dass eine Wiederherstellung an der ursprünglichen Ansatzsstelle nicht mehr möglich ist. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn die Sehne so weit abgekürzt ist, dass sie auch nach gründlicher Mobilisierung nicht mehr an die ursprüngliche Ansatzstelle gebracht werden kann, ohne die Muskelvorspannung stark zu erhöhen. Oder, wenn der Arm auf mehr als 40° abgespreitzt werden muß um das gewünschte Ziel einer Wiederherstellung zu erreichen. Auch wenn Veränderungen des Muskels (Verfettung) deutlich machen, dass der betreffende Muskel niemals funktionsfähig genug sein wird, ist eine übliche Rekonstruktion der Rotatorenmanschette nicht zielführend.

In 2014 veröffentlichten Collin et al. eine grundlegende Arbeit zum Zusammenhang zwischen dem Verlust des aktiven Bewegungsumfangs im Schultergelenk und einer ausgedehnten Schädigung der Rotatorenmanschette (1). Sie ist aus der über zwanzig Jahre älteren Arbeit von Goutallier hervorgegangen, der sich intensiv mit der Rotatorenmanschette des Schultergelenks beschäftigt hatte. Seine erste Arbeiten, in denen er den Zustand betroffener Rotatorenmanschettenmuskeln in der CT-Bildgebung bewertete, sind von elementarer Bedeutung (2, 3). Werden zwei Muskeln eliminiert, wird die Funktion durch die verbleibenden Muskeln ausreichend kompensiert und es kommt nicht zum Bild einer Schulterlähmung. Wenn die Läsion drei Muskeln betrifft, ist der Funktionsausfall des Schultergelenks üblicherweise erheblich. Der Patient kann den Arm aktiv nicht mehr aufheben.

Anatomie der Schulter

Ein Defekt des Supraspinatus-Muskels (M. supraspinatus) besteht in allen Typen der Collin-Klassifikation. Bei einem nicht rekonstruierbaren Riss der Sehne des M. supraspinatus, zusammen mit Beschädigungen anderer Sehnen der Rotatorenmanschette, muss immer die Verletzung aller Sehnen in ihrer Gesamtheit versorgt werden.

Hinsichtlich isolierter nicht rekonstruierbarer Rissen des M. supraspinatus war das Jahr 2013 ein wichtiger Meilenstein, als Mihata et al. ihre Arbeit zu diesem Thema veröffentlichten (4). Ihre Theorie basiert auf der Annahme, dass die obere Gelenkkapsel ein festes Gebilde ist, das eine ähnliche wichtige Wirkung auf den Oberarmkopf hat wie der M. supraspinatus. Smid et al. veröffentlichten eine Arbeit, in welcher sie den Zusammenhang des Schweregrades eines Risses des M. supraspinatus mit dem Risiko eines neuen Risses der schon rekonstruierten Sehne betrachteten (5). Ihre Ergebnisse zeigen deutlich, dass bei Vorliegen eines großen Risses in der Kernspintomographie auf einen Sehnennaht verzichten werden sollte und sofort ein aufwändigeres Rekonstruktionsverfahren gewählt werden sollte.

Arzt zeigt Schulter anhand eines Skeletts

Zu den möglichen Operationsverfahren bei unrekonstruierbarem Riss der Sehne des M. supraspinatus gehört eine nur partielle Rekonstruktion der Rotatorenmanschette, eine Überbrückung des Sehnendefekts oder eine „Ballonplastik“. Eine weitere Möglichkeit ist die obere Kapselrekonstruktion (suprakapsuläre Rekonstruktion). Limitierend sind höhere Stadien der Schulterabnutzung (Stadium 3 und höher nach der Hamada-Klassifikation) (6). Für die suprakapsuläre Rekonstruktion können verschiedene Gewebe und Materialien verwendet werden.
Von den körpereigenen Geweben werden am häufigsten die lange Sehne des Bizeps-Muskels (M. biceps brachii) und ein Gewebestreifen vom Oberschenkel verwendet. In vielen Fällen ist die Sehne des M. biceps brachii vorhanden und zusätzlich kompensatorisch vergrössert. Die Einheilungrate einer  Rekonstruktion mittels langer Bizepssehne scheint vielversprechend, da der Sehnenansatz belassen wird und somit die Blutversorgung erhalten bleibt.

Wir haben eine umfangreiche Studie durchgeführt. Das Ziel unserer Studie war es, die funktionellen Ergebnisse nach suprakapsulärer Rekonstruktion mit einer Nachuntersuchungszeit von mehreren Jahren zu beurteilen.

Material und Methoden

Zwischen 2015 und 2018 wurden 22 Patienten mit nicht-rekonstruierbarem Riss des M. supraspinatus in unsere Studie eingeschlossen. Es waren 13 Männer und 9 Frauen mit einem Durchschnittsalter von 47 Jahren (37-74 Jahre). Operationsindikation war ein schmerzhafter Riss der Sehne des M. supraspinatus mit Abkürzung in der Kernspintomographie-Untersuchung.

In 17 Fällen wurde die lange Sehne des M. biceps brachii für die obere Kapselrekonstruktion verwendet, in 5 Fällen ein Gewebestreifen vom Oberschenkel. Zur Beurteilung der funktionellen Ergebnisse wurden Fragebogen bewertet – die visuelle Analogskala (VAS) für Schmerz, der American Shoulder and Elbow Surgeons Score (ASES) und der Western Ontario Rotator Cuff Index (WORC). Aktive Bewegungen in der Schulter wurden mit einem Goniometer gemessen.

Ergebnisse

Alle funktionellen Ergebnisse verbesserten sich postoperativ statistisch wesentlich. Der mittlere präoperative VAS-Score betrug 5,4 und verringerte sich nach der Operation auf 1,2. Der ASES-Score stieg von durchschnittlich präoperativ 45,4 auf postoperativ 81,2. Der WORC-Index sank von durchschnittlich präoperativ 76,8 auf postoperativ 53,9. Die aktive Bewegung des Arms in der Schulter verbesserte sich von durchschnittlich 109° präoperativ auf 159° postoperativ.

Alle bis auf einen Patienten würden sich der Operation erneut unterziehen. Die Patienten kehrten nach durchschnittlich 9 Wochen zur Arbeit (bei älteren Menschen zu ihrer ursprünglichen Tätigkeit) zurück. Subjektiv waren die meisten Patienten mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Keine wesentlichen Komplikationen wurden beobachtet.

Schlussfolgerung

Vergleich Im Vergleich zu den präoperativen Befunden verbesserten sich die  Ergebnisse wesentlich. Bei nicht rekonstruierbaren Defekten der Sehne des M. supraspinatus erscheint die Rekonstruktion der oberen Gelenkkapsel unter Verwendung der Bizepssehne oder mittels einem Transplantat vom Oberschenkel, eine gute Operationsmethode mit sehr zufriedenstellenden Ergebnissen darzustellen.

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verfasst von:

Univ.Prof. Dr.med.univ. Radek Hart

Dr. Radek Hart ist Facharzt für Orthopädie und Traumatologie mit einer besonderen Spezialisierung auf das Ellenbogengelenk. Er bietet eine umfassende Versorgung des Bewegungsapparates an, die auf die individuellen Bedürfnisse seiner Patienten abgestimmt ist, mit dem Ziel, komplexe Probleme effektiv zu behandeln und die Patienten nachhaltig von ihren Beschwerden zu befreien. Besonders spezialisiert ist er auf die Behandlung sämtlicher Erkrankungen und posttraumatischer Zustände des Ellenbogens. Durch regelmäßige Teilnahme an internationalen Kongressen bleibt Dr. Radek Hart stets auf dem neuesten Stand der Orthopädie. Seine langjährige wissenschaftliche Forschungstätigkeit befähigt ihn zusätzlich, die aktuellsten Erkenntnisse in seine Behandlungsansätze einfließen zu lassen.

  1. Collin P, Matsumura N, Lädermann A et al. Relationship between massive chronic rotator cuff tear pattern and loss of active shoulder range of motion. J Shoulder Elbow Surg. 2014;23:1195-1202.
  2. Goutallier D, Bernageau J, Patte D. Assessment of the trophicity of the muscles of the ruptured rotator cuff by CT scan. In: Post M, Morrey B, Hawkins R, editors. Surgery of the Shoulder. St. Louis, MO: Mosby; 1990. pp. 11–13.
  3. Goutallier D, Postel JM, Bernageau J et al. Fatty muscle degeneration in cuff ruptures: pre- and postoperative evaluation by CT scan. Clin Orthop Relat Res. 1994;304:78–83. 
  4. Mihata T, Lee TQ, Watanabe C et al. Clinical results of arthroscopic superior capsule reconstruction for irreparable rotator cuff tears. Arthroscopy. 2013;29:459-470.
  5. Smid P, Hart R, Puskeiler M. Tangent sign – a reliable predictor of risk for tendon re-rupture in rotator cuff repair. Acta chir orthop traum cechoslov. 2014;81:227-232.
  6. Hamada K, Fukuda H, Mikasa M et al. Roentgenographic findings in massive rotator cuff tears: a long-term observation. Clin Orthop Relat Res. 1990;254:92–96.

Fotoquellen: Adobe Stock, https://stock.adobe.com; https://elements.envato.com

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